Wasser

Wenn sie an Felix dachte, wie er früher einmal gewesen war, fiel ihr immer einer ihrer ersten Restaurantbesuche ein.

Dezentes Understatement, eine Speisekarte, die ebenso übersichtlich und kunstvoll gestaltet war wie das Essen auf dem Teller. Ein Kellner eilte herbei und fragte sie beflissen nach ihren Wünschen. Felix bestellte für sie beide, ohne Sina auch nur einmal zu fragen, was sie wollte. Er schien die Karte auswendig zu kennen.

Amüsiert ließ sie ihn gewähren. Als der Kellner mit ihrem Essen kam, Straußenmedallion auf Mangocouscous in Ingwer-Kokoscreme, schwieg er einen Moment, ehe er den Kellner mit einem freundlichen Nicken entließ.

"Danke Henry. Ach, und könntest du uns bitte noch eine Flasche BC bringen?"

Das Essen vor ihr auf dem Teller duftete verführerisch, trotzdem schob sie das Fleisch an den Rand und aß nur von dem Couscous.

"Was ist? Schmeckt es dir etwa nicht?"

"Ich bin Vegetarierin." War ihm das bisher nicht aufgefallen? Anscheinend nicht.

"Ach, wegen der Massentierhaltung und so? Keine Sorge, dieser Strauß war garantiert glücklich und lief den ganzen Tag an der frischen Luft herum." Er hob sein Weinglas, als wollte er auf das glückliche Straußenleben anstoßen. "Und vor der Schlachtung wurde er drei Wochen lang von einem Yogalehrer betreut, um innerlich ganz gelassen zu bleiben. Komm schon, jetzt sei nicht so dogmatisch."

Wider Willen musste sie lachen. Sie hielt sich weiterhin nur an das Couscous und ignorierte das glückliche Straußenfleisch, doch Felix schnitt beinahe andächtig davon ab, führte schnuppernd das aufgespießte Fleisch vor seiner Nase entlang und schloss genießerisch die Augen. Langsam schob er sich den Bissen in den Mund und kaute genüsslich. Der Kellner tauchte mit einer schlichten Flasche Wasser auf, auf dessen Etikett der Schriftzug 10 BC prangte. Er schenkte ihnen ein, und Felix hob das Glas mit einer Ehrfurcht, als handele es sich um hundert Jahre alten Champagner.

"Reines Gletscherwasser. Koste mal! So etwas hast du noch nie getrunken!"

Sie trank. Es schmeckte nach Wasser. Sie spürte seinen erwartungsvollen Blick und zuckte die Schultern. "Nicht schlecht", gab sie zu. Ihr Leitungswasser zu Hause war etwa genauso lecker.

"Nicht schlecht!" Felix lehnte sich zurück und sah sie entgeistert an. "Ich tische dir hier echtes, einmaliges, zehntausend Jahre altes Gletscherwasser für fünfundzwanzig Euro den Liter auf, und alles, was dir dazu einfällt ist: Nicht schlecht." Dann lachte er. "Gratuliere, du hast den Test bestanden. Weißt du, wie die meisten Frauen reagieren, wenn sie das Wasser probieren?"

Sina schüttelte den Kopf.

"Sie brechen in wahre Begeisterungsstürme aus, ergehen sich in Lobhudeleien und behaupten, noch nie im Leben so fantastisches Wasser getrunken zu haben. Dabei denken sie vermutlich genau wie du: Und das soll etwas Besonderes sein?" Er beugte sich zu ihr vor. "Ich verrate es dir. Das Besondere daran ist sein Preis. Es geht nicht darum, ob man es sich leisten kann. Sondern ob man es sich leisten will." Augenzwinkernd griff er zum Glas und kippte das Wasser in einem Zug herunter. "Darüber hinaus hast du vollkommen recht. Es ist Wasser. Einfach nur Wasser."